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Wiederaufnahme

Auf einem Holztisch liegt ein Dokument mit dem großen Stempel ‚INNOCENT‘; daneben stehen ein Richterhammer und eine Justitia-Figur.
Quelle: Pexels

Ein rechtskräftiges Urteil bedeutet nicht zwangsläufig, dass es richtig ist. Fehlurteile entstehen durch frühe Hypothesenfestlegungen unvollständige Ermittlungen, methodisch fehlerhafte Gutachten oder falsche Aussagen.

Das Wiederaufnahmeverfahren ist die einzige Möglichkeit, ein Urteil nach Rechtskraft zu korrigieren.

Ich vertrete Verurteilte in Wiederaufnahmeverfahren. Meine Arbeit verbindet juristische Präzision mit kriminalistischer Erfahrung und einem tiefen Verständnis für die Dynamiken, die zu Fehlurteilen führen können. Durch meine Tätigkeit als Vorständin und Leitung der Geschäftsstelle des Innocence Project Deutschland sowie meine praktische Erfahrung bei der Conviction Review Unit Brooklyn in New York City verfüge ich über besondere Expertise in der Aufdeckung von Ermittlungsfehlern, der forensischen Bewertung neuer Beweismittel und der praktischen Vorbereitung erfolgreicher Wiederaufnahmeanträge.

Wiederaufnahmeverfahren erfordern Ausdauer, Weitblick und die Bereitschaft, bekannte Sachverhalte noch einmal kritisch und unvoreingenommen zu prüfen.

Fehlerquellen und Ursachen von Fehlurteilen

Fehlurteile entstehen selten durch einen einzelnen Irrtum. Sie sind meist das Ergebnis komplexer Dynamiken, in denen menschliche Wahrnehmung, institutionelle Abläufe und methodische Schwächen ineinandergreifen. In meiner Arbeit begegne ich immer wieder denselben Mustern – unabhängig davon, ob es sich um Kapitaldelikte, Sexualstrafverfahren oder Wirtschaftssachen handelt.

Ermittlungsfehler und Tunnelblick

Ein zentrales Problem liegt in frühen Ermittlungsfehlern. Wenn sich eine Hypothese einmal verfestigt hat, werden entlastende Beweise nicht mehr ermittelt oder widersprüchliche Informationen weggewischt. Das kann dazu führen, dass Verfahren in eine Richtung gelenkt werden, die der Wahrheit nicht entspricht.

Zeugenaussagen und Erinnerungstäuschungen

Auch Zeug:innenaussagen gehören zu den häufigsten Ursachen für Fehlurteile. Selbst ehrliche Zeugen und Zeuginnen können falsch erinnern – etwa in Stresssituationen, bei suggestiven Befragungen oder unter emotionalem Druck. Falsche Wiedererkennungen sind ein klassisches Beispiel für menschliche Fehlwahrnehmung, die in Ermittlungsakten häufig als objektive Tatsache erscheint.

Methodische Mängel in Gutachten

Ein weiteres Risiko besteht in fehlerhaften oder methodisch unzureichenden Sachverständigengutachten. Gerade bei forensischen Spuren, digitalen Beweisen oder aussagepsychologischen Bewertungen kann eine unkritische Übernahme zu gravierenden Fehleinschätzungen führen. Entscheidend ist, die Qualität solcher Gutachten konsequent zu hinterfragen und notfalls durch unabhängige Expertisen zu überprüfen.

Unzureichende Verteidigung und strukturelle Ungleichgewichte

Fehlurteile entstehen auch dort, wo Verteidigung zu spät einsetzt oder nicht konsequent geführt wird. Ohne frühzeitige anwaltliche Begleitung können Fehler unentdeckt bleiben und sich im weiteren Verlauf verfestigen.

Diese Fehlerquellen sind nicht bloß individuelle Versäumnisse, sondern Ausdruck systemischer Schwächen: Überlastete Ermittlungsbehörden, institutioneller Erfolgsdruck und unzureichende Kontrollmechanismen begünstigen voreilige Schlüsse.

Wiederaufnahmegründe (§ 359 StPO)

Eine Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten ist nur unter engen gesetzlichen Voraussetzungen möglich. Nach § 359 StPO kann ein rechtskräftig abgeschlossenes Strafverfahren wiederaufgenommen werden, wenn

  1. eine Urkunde, auf die das Urteil gestützt wurde, unecht oder verfälscht war,
  2. eine im Verfahren abgegebene Aussage oder ein Gutachten falsch war, sofern dies rechtskräftig festgestellt ist oder sich nachträglich ergibt,
  3. ein Richter oder eine Richterin, Schöffe oder Staatsanwalt an dem Urteil mitgewirkt hat, obwohl er oder sie sich im Verfahren einer Straftat schuldig gemacht hat,
  4. ein anderes Urteil, auf das sich das angefochtene Urteil stützt, aufgehoben wurde, oder
  5. neue Tatsachen oder Beweismittel vorliegen, die allein oder in Verbindung mit den bisherigen Beweisen geeignet sind, einen Freispruch, eine mildere Bestrafung oder eine andere rechtliche Entscheidung herbeizuführen.
  6. der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte oder das Bundesverfassungsgericht eine Verletzung der Verfahrensgrundrechte festgestellt hat, die fortwirkt und nur durch eine Wiederaufnahme beseitigt werden kann.

Darüber hinaus eröffnet § 79 Abs. 1 BVerfGG, wenn das Bundesverfassungsgericht eine Verletzung der Verfahrensgrundrechte festgestellt hat.

Fehlurteile verstehen, um aus ihnen zu lernen

Ziel meiner Arbeit – sowohl in der Wiederaufnahmeverteidigung als auch in meiner Tätigkeit im Innocence Project Deutschland – ist es, diese Strukturen sichtbar zu machen und auf Basis fundierter Analysen Wege zu gerechteren Verfahren aufzuzeigen.

Ein erfolgreicher Wiederaufnahmeantrag verlangt daher mehr als das Auffinden neuer Beweise. Er erfordert das Verständnis dafür, wie und warum ein Verfahren zu einem falschen Ergebnis geführt hat. Erst wenn diese Mechanismen offengelegt sind, kann Rechtsprechung aus Fehlurteilen tatsächlich lernen.

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